Karstieß‘ Keramik-Figuren erscheinen häufig in kauernder Haltung, wirken verletzlich oder gar physisch verletzt. Dabei scheinen sie teilweise zu schmelzen und zerfließen buchstäblich. Bei „Narziß (Figur Nr. 1)“ von 2018 hängen vom Künstler geformte Stränge von Kopf, Brustbereich und der auf ein Knie abgestützten Hand herab, die im feuchten Zustand nach unten geflossen und sogar heruntergetropft sind, sodass der Ton allein durch die Schwerkraft Spuren im darunterliegenden Körper der Figur hinterlassen hat. Der Eindruck des Fließens wird durch die glänzende Oberfläche verstärkt. Die Gestalt ist mit einer Glasur aus Silbernitrat überzogen, wodurch eine irisierende Oberfläche entsteht. Sie lässt die Figur mit ihrer Umgebung verschmelzen. Durch das Zerfließen des Materials scheinen die Umrisse der Skulptur sich aufzulösen, der Körper zu zerfließen. Der weiße Sockel gehört zum Werk und bildet den Übergang zwischen Figur und Raum.
Narziss ist in der griechischen Mythologie ein schöner Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und vor Sehnsucht dahinschwand, bis er sich in eine Blume verwandelte. Karstieß stellt ihn als sitzende, fast kauernde und in sich oder sein Spiegelbild versunkene Figur dar. Er bezieht sich auf eine berühmte Vorlage aus der italienischen Kunstgeschichte: dem „Narziss“ von Caravaggio, entstanden um 1600, das sich in der Galleria Nazionale d'Arte Antica in Rom befindet.
Die Metamorphose des menschlichen Körpers setzt Karstieß in seiner Figur nur mit Hilfe der Eigenschaften der Keramik, ihrer Formbarkeit und Möglichkeit der Oberflächenbehandlung um.
„Die Formen und Figuren entstehen mit dem Material, nicht gegen das Material" (Markus Karstieß, 2025).
Weitere Medien
- Ort & Datierung
- 2018
- Material & Technik
- Keramik, Lüsterglasur, Corian
- Abmessungen
- 77,5 x 72 x 67 cm
- Museum
- Atelier Markus Karstieß
- Inventarnummer
- AMK_0001