Während Lucio Fontana mit Stecheisen und Messer realen Raum in seinen Kunstwerken erzeugte und seine zweidimensionalen Leinwände und Flächen damit zu dreidimensionalen, skulpturalen Objekten werden ließ, zeigt Gerhard Richter in diesem Gemälde die Illusion von Raum. Das Ölgemälde „Umgeschlagenes Blatt“ aus dem Jahr 1965 täuscht die Augen: Ein Blatt Papier scheint sich von dem Untergrund zu lösen und nach links zu wölben, der Skizzenblock wirkt damit auf den ersten Blick fast wie ein dreidimensionales Objekt. Richters Augentäuschung ist ein Klassiker der Trompe-l’œil-Kunst: Zweidimensionale Abbildungen umgeschlagener Papiere kommen bereits in der Antike vor und werden im Medien der Malerei und Grafik aufgegriffen. Ein Beispiel aus der Sammlung des Von der Heydt-Museum ist die „Atelierwand“ des Elberfelder Künstler Johann Richard Seel von 1856, der nicht nur geknickte Papiere und Buchseiten vermeintlich dreidimensional an seiner Atelierwand darstellt, sondern auch Kunstwerke wie einen Knabenkopf, Zeichnungen oder Malereien neben Objekten wie einer Malerpalette.
Richters „Umgeschlagenes Blatt“ stammt aus einer Serie von fünfzehn kleinformatigen Gemälden, die 1965/66 entstanden. Das Verwirrspiel in Serie ist in Richters Ansicht begründet, Kunst könne immer nur einen Schein der Realität abbilden. Mit der optischen Täuschung von Dreidimensionalität in diesem Werk hinterfragt Richter die Grenzen von Kunst, Raum und Wahrnehmung. Im Gegensatz zu dieser malerisch präzise erzeugten Raumillusion schuf Fontana realen Raum, wobei der Schnitt und der Perforieren anders als der Pinselstrich nicht korrigierbar und damit endgültig sind.
Weitere Medien
- Material & Technik
- Öl auf Leinwand
- Museum
- Museum Kurhaus Kleve – Dauerleihgabe des Freundeskreises Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., über die Vermittlung von Sonja Mataré, Meerbusch-Büderich, Schenkung von Günter Stockhausen, Krefeld
- Datierung
- 1965
- Inventarnummer
- 1996-XI-II