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#246

Strecke

Weizsäcker, Andreas von (1956-2008) | Bildhauer:in

02:36

Der gelernte Bau- und Möbelschreiner Andreas von Weizsäcker arbeitet ab 1977 als Bühnenschreiner beim WDR in Köln. Als Sohn des Politikers Richard von Weizsäcker wuchs der Künstler in einer politisch engagierten Familie auf. 1978, als er sich in der Entwicklungshilfe in Thailand engagiert, wird bei ihm Krebs diagnostiziert. Nach einer zunächst erfolgreichen Therapie studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München und erhielt in den 1980er Jahren eine Gastprofessur an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg in den Bereichen Skulptur, Papier und Recycling. 2001 erhält er die Professur für künstlerische Papierformung in München.

Andreas von Weizsäcker arbeitet zeit seines Lebens mit dem Material Papier. Seit 1982 stellt er Abformungen von Alltagsgegenständen aus später erstarrender Zellulose her. So sind seine Objekte Dokumente der Alltagsrealität, zugleich jedoch durch die weiße Hüllenform in ein anderes Realitätsstadium verwandelt und abstrahiert. Das schlichte Material der Zellulose erweckt den Eindruck zerbrechlicher Zartheit. Die Spuren der Zeit, die Vergänglichkeit des Materials und die Verwandlung der Dinge – das Recyclen – interessieren ihn.

Über die ganze Wand erstrecken sich die weißfarbenen Objekte dieser Installation.

Andreas von Weizsäcker hat Einzelteile aus Verkehrsunfällen gesammelt, an denen Kinder auf ihren Fahrzeugen beteiligt waren. Diese Reste werden jedoch nicht selbst an der Wand montiert, sondern in der Form weißer, durch einen Riss geöffneter Hüllen. Erkennbar sind hier die Formen von Fahrradsatteln, Lenkern, Teilen der Rahmen oder Stützräder und Klingeln. Ähnlich wie abgelegte Insekten-Puppen sind sie Zeugnis der vormaligen Existenz und Funktion der alltäglichen Geräte, aber auch von deren Zerstörung in Verkehrsunfällen. Fundstücke gewinnen so eine neue Realität, ihre Abformung ist eine Art Dokumentation und Abstraktion.

Zugleich führt der Bildhauer mit dem Titel „Strecke“ die Betrachtung in eine bestimmte Richtung, weg vom rein ästhetischen Zusammenspiel der verschiedenen runden, gebogenen und fragmentierten Formen der Fahrzeugteile. Er aktiviert unser sprachliches Bewusstsein. Eine „Strecke legen“ ist ein Begriff aus der Jagdtradition. Nach dem Abblasen einer Treibjagd wird alles erlegte Wild zur Begutachtung in Reihen gelegt. Auch die aggressive Redewendung, jemanden „zur Strecke zu bringen“ verstärkt die makabre Wirkung. Konzept und Kenntnis des Materials eröffnen eine neue Wahrnehmung unserer für Kinder und Fahrradfahrende so gefährlichen, zynischen Gegenwart.

Material & Technik
Zellstoff
Museum
Von der Heydt Museum
Datierung
1988
Inventarnummer
P 0382
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