QR-Code

#241

Pflichttäter

Heisig, Bernhard (1925-2011) | Künstler:in

03:00

Ein Banner mit der Aufschrift „Man tat nur seine Pflicht, keiner schuldiger als der Nachbar, keiner feiger als der Nachbar – Pflichttäter“ spannt sich nahezu horizontal durch das Gemälde „Pflichttäter“ des deutschen Malers der Leipziger Schule, Bernhard Heisig, aus dem Jahr 1996. Im Zentrum befindet sich ein Mann mit einer Fackel in der Rechten und einer Armprothese in der linken Hand. Sein Gesicht wirkt erstaunt, fast ungläubig und merkwürdig passiv.

In der linken unteren Bildecke drängt sich eine scheinbar schreiende Menschenmenge zusammen, in der vor allem die ausdrucksstrake Mimik einzelner Personen und die greifenden und zupackenden Hände sichtbar werden. Eine Figur am unteren Bildrand scheint sogar direkt zu uns Betrachtenden greifen zu wollen. Dabei lösen sich die Gesichter durch die dichte Malweise und den pastosen Farbauftrag von Bernhard Heisig auf und werden schemenhaft, was die Gesamtwirkung als Menschenmenge hervorhebt.

Der farbige Bildhintergrund weist verschiedene Motive auf, die teils erkennbar, teils nur angedeutet sind. Am rechten oberen Bildrand befindet sich zum Beispiel eine schwarz gekleidete Figur, schemenhaft in dunklen Farbtönen gemalt, aber markant mit einem gelben „Judenstern“ gekennzeichnet. Darüber scheint ein Feuer zu lodern und seine zerstörerische Kraft zu entfalten, während in der linken oberen Bildecke zwei Figuren an einem Galgen zu erkennen sind. Die sehr unmittelbar und kraftvolle Malweise und die dick aufgetragene Farbe Heisigs dominiert den expressiven und teils fast abstrakten Bildausdruck, wobei es ein konkretes historisches Thema benennt. In „Pflichttäter“ thematisiert Bernhard Heisig die Verbrechen des Nationalsozialismus, die Frage der Schuld und auch seine eigene Vergangenheit. Der opportunistische Pflichttäter ist in der Mitte der Darstellung positioniert, kriegsversehrt und verblendet; neben ihm die Menschenmenge potenzieller Mitläufer*innen und hinterfangen von gewalttätigen Szenen der NS-Zeit. 

Heisig wird 1925 geboren und wächst im nationalsozialistischen Deutschland auf. Mit 17 Jahren meldet er sich freiwillig zur SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ und verteidigt 1945 seine Heimatstadt Breslau. Er lebt nach dem Krieg in der DDR, wo er in die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) eintritt. Lange Zeit verschweigt Heisig seine SS-Mitgliedschaft. Da er selbst ein aktiver Teil des Zweiten Weltkrieges war, setzt er sich in seiner Kunst immer wieder mit Themen der Täter- und Opferperspektive, des Mitläufertums und auch der Möglichkeit, sich individuell oder kollektiv gegenüber staatlicher Gewalt und Unfreiheit zu behaupten.

Ab 1954 lehrt Heisig an der Kunsthochschule in Leipzig. Mit seiner expressiven und formal fast abstrakten Malweise geht Heisig über den Sozialistischen Realismus der DDR hinaus. Er verkörpert eine figurative Abstraktion, die andere Ursprünge hat, als die neue figurative Malerei, die in den späten 1970er Jahren in westdeutschen Künstlerkreisen entstand.

Material & Technik
Öl auf Leinwand
Museum
Kunst- und Museumsverein
Datierung
1996
Inventarnummer
KMV 2005/5
0:00