Frame of a mobile phone QR-Code

#71 Fokus Georg Kolbe

05:06

Georg Kolbe (1877–1947) gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine figurativen Werke stehen für eine ideale Verbindung von Bewegung und Harmonie. Vor allem seine Aktplastiken verdeutlichen seine intensive Auseinandersetzung mit dem modernen Menschen, dessen körperliche Dynamik und Ausdruck Kolbe in Einklang zu bringen suchte. Als Mitglied verschiedener sezessionistischer Künstlervereinigungen pflegte er enge Kontakte zu Kunstschaffenden wie Karl Schmidt-Rottluff, Renée Sintenis und Ernst Barlach.

Ursprünglich als Maler und Zeichner ausgebildet, entdeckte Kolbe während eines längeren Aufenthalts in Rom um 1900 seine Leidenschaft für die Bildhauerei. Sein künstlerisches Streben richtete sich stets darauf, eine Form zu schaffen, die Körper und Geist harmonisch vereint. Diese Zielsetzung fasste er unter dem Begriff „Ausdrucksplastik“ zusammen. In den 1920er Jahren fand Kolbe zu seinem charakteristischen Stil, der bis heute große Anerkennung findet. Aus dieser Schaffensphase stammen auch die vier ausgestellten Skulpturen: zwei „Kauernde“, eine „Sitzende“ und eine „Hockende“. Bei den „Kauernden“ handelt es sich um einen 1927 geschaffenen Stukko und einen Bronzeabguss aus dem Jahr 1960.

In den letzten Jahren haben neue Forschungen Kolbes Position und Rolle während der NS-Zeit genauer untersucht und kritisch beleuchtet. Eine zentrale Quelle hierfür ist die 2023 erschienene Publikation „Georg Kolbe im Nationalsozialismus: Kontinuitäten und Brüche in Leben, Werk und Rezeption“, die im Bereich „Wissen“ dieser Ausstellung zugänglich ist. Das Buch fasst die Ergebnisse aktueller Forschungen zusammen, die Kolbes Aktivitäten auf dem Kunstmarkt, seine Beziehungen zu Auftraggebern, Ausstellungsteilnahmen und politischen Kontakten sowie seine Strategien der Selbstvermarktung zwischen 1933 und 1945 analysieren. Grundlage dieser Studien sind zuvor unbekannte Dokumente, die 2020 in den Besitz des Georg Kolbe Museums gelangten. Diese neuen Quellen ermöglichen tiefere Einblicke in Kolbes Schaffen während der NS-Zeit.

Obwohl Kolbe nie Mitglied der NSDAP war, zeigt die heutige Perspektive, dass er die Anerkennung, Aufträge und Ehrungen der nationalsozialistischen Führung akzeptierte, um seinen beruflichen Erfolg zu sichern. Er distanzierte sich nicht öffentlich vom Regime, und seine Werke aus dieser Zeit, insbesondere die vom Nietzsche-Heldenkult inspirierten Skulpturen der 1930er und 1940er Jahre, konnten leicht für die NS-Propaganda instrumentalisiert werden.

Kolbes Arbeiten aus den 1920er Jahren, darunter viele Aktfiguren wie die „Sitzende“, erfreuten sich auch während der NS-Zeit großer Beliebtheit und wurden auf dem Kunstmarkt gehandelt. Diese Werke, geprägt von einem modernen Verständnis für Form sowie einer ästhetischen Betonung von Harmonie und Bewegung, passten einerseits in das propagierte Ideal des gesunden Körpers. Andererseits stieß ihr moderner Stil bei den Machthabern auf Kritik. Kolbe wich jedoch einem offenen Konflikt mit der nationalsozialistischen Kunstpolitik aus und konnte durch geschicktes Taktieren in prominenten Kreisen verbleiben.

Zwei Werke aus der NS-Zeit werfen ein besonderes Licht auf Kolbes Position: eine Büste des spanischen Diktators Francisco Franco und seine Planungen für eine Büste Adolf Hitlers. Im März 1934 bot Kolbe der Reichskanzlei an, eine Büste des Diktators auf Basis von Porträtsitzungen zu schaffen, was jedoch abgelehnt wurde. Die jüngste Forschung beleuchtet ausführlich, wie Kolbe in dieser Zeit seinen Status als führender Bildhauer zu festigen suchte. Insbesondere wird auf Aya Soikas Beitrag verwiesen, der aufzeigt, dass Kolbe möglicherweise aktiv Kontakt zu Hitlers Umfeld suchte, um sich künstlerisch und beruflich zu positionieren. Auch die Franco-Büste, entstanden im Rahmen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien, verdeutlicht Kolbes Bestrebungen, seinen Status und seine finanzielle Sicherheit durch strategische Aufträge zu sichern.

Diese Arbeiten werfen ein facettenreiches Bild auf Kolbes Rolle im Spannungsfeld zwischen Anpassung, Opportunismus und künstlerischer Ambivalenz. Ob seine Entscheidungen von persönlichen Überzeugungen, taktischer Selbstdarstellung oder wirtschaftlichem Kalkül motiviert waren, bleibt weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

 

0:00